Karl-Oskar Wiegmann: Wie ich das Hochwasser im Februar 1946 erlebt habe

Samstag, 9. Februar 1946.
Das Wasser kam! Von wo? Aus der Beekestraße oder vom Stadtweg? Für uns kam es aus der Klusmannstraße direkt in unseren Garten. Es war Winter. Gemüse war nicht da, aber es stieg und bedrohte die Werkstatt. Die Kellerfenster der Werkstatt liegen tief. Mit Gartenerde versuchten wir sie abzudichten. Es nützte nichts. Die Motoren der Maschinen, das Kostbarste, das wir hatten, holten wir mit vereinten Kräften nach oben in die Werkstatt. Wir stellten Böcke zusammen, legten Platten darauf und wuchteten die schweren Motore darauf.

Es nützte nichts. Das Wasser stieg weiter.

Die Hühner und Kaninchen wurden aus dem Stall im Garten in die Werkstatt geholt und irgendwo drauf gesetzt. Es ging alles so schnell und man hatte nur zwei Hände.

In dieser Notzeit hatten wir etwas sehr Wertvolles vom Fischerhof organisiert: Sperrholz. Es befand sich in einem Keller des Wohnhauses. Möglichst schnell brachten wir es auf den Boden im dritten Stockwerk. Es blieb trocken.

Unsere Wohnung im Erdgeschoss versuchten wir zu sichern. Das Klavier stellten wir auf Steine, die auf dem Hof lagen. Das Meisterstück meines Vaters, eine schöne Vitrine, legten wir auf einen Tisch.

Großes Glück hatten wir mit dem Essen. Da meine Schwester Helga am Tag zuvor Geburtstag hatte, war Kuchen übrig geblieben, den wir gemeinsam mit den helfenden Hausbewohnern verspeisten. Alle Bewohner der Erdgeschosswohnungen wurden von den oberen Wohnungsmietern aufgenommen.

Am nächsten Morgen sahen wir unser "Vermögen", das gestapelte Holz, auf dem Hof umher schwimmen. Voller Sorge hofften wir, dass die Mauer zum Haus Nr. 6 halten würde und unser Material nicht den Stadtweg hinab schwimmen würde. Plötzlich fiel mir meine Armbanduhr ein. Mein kostbarstes Konfirmationsgeschenk. Sie hing über meinem Arbeitsplatz, der Hobelbank an einem Nagel. Ich baute mir ein paar Bohlen zusammen und paddelte über den Hof. Meine Uhr war noch "wasserfrei". Ich beobachtete das steigende Wasser, um im Notfall die Scheibe einzuschlagen und meinen Schatz zu retten. Zehn Zentimeter unter der Uhr blieb das Wasser stehen.
Die Uhr habe ich noch heute!

Als endlich das Wasser zurückging machten wir Bestandsaufnahme. Die Maschinen waren kaputt, die Motoren mussten alle neu gewickelt werden, Schrauben und Nägel waren total unbrauchbar.
Ein Sack Tafelleim, den wir über den Krieg nicht angerührt hatten, weil wir ihn hegen wollten, war verdorben.
Die im Spänekeller für die Heizung gebunkerten Späne, mussten körbeweise in den Garten zum Trocken gebracht werden, um uns später wieder zum Heizen zu dienen.

Unsere Mieter Stier hatten bei der Ausbombung in der Pfarrstaße einen Küchenschrank gerettet. Er sollte in der Werkstatt repariert werden. Er hatte im Wasser gestanden, war verdorben, aber die Kaninchen und Hühner saßen in den Schrankfächern. In den Schubladen fanden wir die gelegten "Hochwassereier".

Text & Foto aus: 50 Jahre Ricklinger Deich 1954 - 2004
Deichgrafen-Collegium Ricklingen, 01. Februar 2004

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Aktualisiert: 11.01.2005